Mittwoch, 25.03., Tag 14
Während sich an diesem schönen Frühlingstag hunderte Münchner fröhlich durch die Fußgängerzone schieben, stehe ich seit geschlagenen zehn Minuten oben im Turmstüberl am Waschbecken. In dem kleinen WC bekomme ich langsam Platzangst. Und sauberer werden meine Hände auch nicht mehr.
Ich blicke seufzend auf mein Handy: Sammy ist echt keine Hilfe!
Als ich zurück an den Tisch komme, strahlt mich Mr. Bling-Bling bereits mit seinem Zahnpastalächeln an. „You are so beautiful! You really are the most beautiful woman I ever met!“. Ich lächle matt. Eigentlich ist er ja einfach nur nett. Ein bisschen spooky und aufdringlich zwar, aber prinzipiell wirklich nett. Ich versuche mich zu entspannen und nehme eine Gabel Apfelkuchen. „And I can’t wait to tell my parents about you, when I arrive home in Brazil tonight!“
Der Kuchen legt sich quer in meinen Hals. Ich huste. „Äh…what??“. Ricardo, aka Mr. Bling-Bling-Zahnpastalächeln, nimmt meine Hand und blickt mich treu strahlend an: „I have to tell them, that I finally found the one. On my last day in Germany! It’s magic!!“.
Ich werde bleich und ziehe meine Hand weg. „When is your flight again?“. Mr. Bling-Bling winkt ab, denn der Flug ist erst in sechs Stunden. „Well…but then you should get on your way….now!!“. Ich lege sehr überzeugend dar, dass man aufgrund des unzuverlässigen MVVs (Ha! Endlich isser zu was gut!), der langwierigen Security Checks für Nicht-Europäer, und den absurd laaaangen Wegen zwischen den Terminals am Münchner Flughafen mindestens sechs Stunden bis Abflug einplanen muss! Aber mindestens! Mr. Bling-Bling mustert mich irritiert. Ich lege nach: „And don’t forget about the scheduled stop of the train in Neufahrn! That will at least cost you another 30 minutes!“. Ricardo – der keine Ahnung hat wovon ich rede – scheint überzeugt. Puh!
Allerdings löst der baldige Abschied bei ihm eine riesige Welle von Wehmut aus. Denn auf dem Weg zur S-Bahn wird er plötzlich richtig touchy und anhänglich. Ständig legt er den Arm um mich, setzt dabei ein trauriges Gesicht auf, oder nimmt meine Hand. Mr. Bling-Bling ist meine Abneigung gegenüber Zuneigung (in der Öffentlichkeit) völlig unbegreiflich. Plötzlich kommt ihm ein Gedanke und er zwinkert mir flirtiv zu: „Ok. I stop now.“, zwinker-zwinker, „Because you can give me a long Hollywood-Kiss at the Gate before I go through security!“. Er strahlt, von seiner eigenen Idee begeistert.
Moment mal….!!! Doch bevor ich Mr. Bling-Bling wieder zurück in die Realität holen kann, passiert – wie so oft im Leben – das denkbar Ungünstigste zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt: Ein motivierter junger Typ mit ins Gesicht gemeißelten Grinsen kommt auf uns zu. Mit Mikro. Und Kameramann. Oh no.
„Hey, darf ich suuuuuperkurz stören? Wir machen eine kleine Umfrage. Es dauert eeeeecht nicht lang!“. Ich stöhne innerlich auf. Dann aber kann ich hinter dem betont selbstbewussten Grinsen des jungen Kerls die blanke Verzweiflung sehen. Und ich weiß auch warum: Der Typ ist offensichtlich Praktikant. Auf dem Mikro prangt das Logo eines großen Senders, bei dem ich auch mal als Praktikantin gearbeitet habe. Daher weiß ich genau, dass das Format, für das er wahrscheinlich diese undankbare Umfrage machen muss, in drei Stunden live auf Sendung geht. Ich seufze: „Sorry, ich weiß wie ätzend Umfragen sind, ich hab das auch mal gemacht. Aber ich hab wirklich keine Lust drauf, schon wieder wegen irgend einer Sex-Umfrage im Fernsehen zu sein!“. Die coole Fassade des Praktikanten fällt. „Oh Mann, dann weißt du ja wie es mir geht. Ich muss in ner halben Stunde im Studio sein mit dem Material….bittteeeee!!! Es ist auch keine dumme Sex-Umfrage!“. Er blickt mich flehend an. Hinter mir steht Mr. Bling-Bling und versteht nur die Hälfte. Was soll’s. „Gut, schieß los!“. Der Praktikant strahlt: „Fett. Du rettest mein Leben!“, und hält mir das Mikro vor die Nase. Die Kamera läuft:
Praktikant: „Also…wo habt ihr zwei euch denn kennengelernt?“
Ich: „Bitte?? Vor zwei Stunden, am Hauptbahnhof…“
P: „Am Hauptbahnhof…“
Verwirrter Blick.
P: „Äh…ok. Also seit ihr zwei…ihr zwei seid schon zusammen, oder?“
I: „NEIN!!“
Der Praktikant ist kurz aus dem Konzept. Im Hintergrund macht Mr. Bing-Bling ein komisch brummiges Geräusch.
P: „Ok…äh…also, dann frag ich nur dich. Was für einen Kosenamen hast du für deinen Partner. Ach nein, Moment. Also…was für einen Kosenamen hattest du für deinen Ex…Partner…“
Mein Blick wird düster. Peinliche Stille. Der Praktikant merkt, dass er unausweichlich dabei ist, sich in ein dickes Fettnäpfchen zu manövrieren. Kurzes Durchatmen. Und wieder zurück zum breiten Grinsen.
P: „…oder ich formuliere es so: Welchen Kosenamen findest du toll?“
I: „Keinen. Ich finde Kosenamen einfach nur peinlich, pubertär und abstoßend!“
Der Praktikant starrt mich an. Nestelt unruhig am Windschutz des Mikros.
I: „Ich meine, was soll das? Wieso nennen wir jemanden ‚Hasi‘ oder ‚Mausi‘, wenn derjenige eigentlich ‚Thomas‘ oder ‚Anna-Franziska‘ heißt? Wieso muss ich jemanden auf dieselbe Stufe wie ein Kleinkind stellen? ‚Hasi‘ oder ‚Mausi‘ mit Dreißig genannt zu werden! Wer will denn das!? Wer?! WER?!
Der Praktikant weicht erschrocken zurück. Ich plustere mich auf.
I: „Außerdem…wie unkreativ und trivial ist das eigentlich?!“
Offensiver Blick in die Kamera.
I: „Wissen Sie, wie viele ‚Hasis‘ und ‚Mausis‘ es gibt?! Tausende! Und bei ‚Schatzi‘ – was übrigens rein statistisch gesehen der meist benutzteste Kosename in Deutschland ist – brauch ich gar nicht erst anzufangen!“
P: „Äh…“
Der Praktikant kratzt sich am Kopf. Ich schnaufe feministisch aufgeladen. Der Typ hinter der Kamera bekommt einen mittelgroßen Lachkrampf.
P: „Also die neuesten Studien zeigen…“
Nervöses Gekruschel in den Unterlagen.
P: „…dass ‚Baby‘ in diesem Jahr ganz weit vorne liegt…“
I: „Baby!“
Höhnisches Lachen meinerseits.
I: „Baby kann es nur eine geben, und die stellt niemand in die Ecke!“
Der Praktikant guckt mich vollends verwirrt an.
P: „Ok…also…dann brauch ich glaub ich die anderen Fragen nicht mehr stellen. Äh…du hast also nie Kosenamen benutzt, wurdest nie bei einem Kosenamen genannt und willst auch nie einen Kosenamen bekommen?!“
Ich hole Luft.
I: „Wenn ich mal einen Freund habe, der mir irgendeinen dummen, erniedrigenden, post-pubertären Kosenamen wie Hasi, Pupsi oder Schatzi gibt, kann der sich gleich wieder verziehen!“
Der Kameramann bricht ab, kann sich vor Lachen kaum halten. Ich verabschiede mich von dem völlig desillusionierten Praktikanten und gehe stolz weiter. Hinter mir brummelt schon wieder etwas.
Oh weh! Ich habe Mr. Bling-Bling ganz vergessen! Der blickt ziemlich düster drein und plötzlich habe ich ein schlechtes Gewissen. Es ist schließlich sein letzter Tag in Deutschland und ich will trotz allem nicht, dass er den mit einer bitchigen Super-Emanze verbringen muss! Außerdem geht es mir und meinem Selbstwertgefühl nach diesem „Interview“ viel besser.
Ich lächle also nett, will wissen, ob er noch irgendein Mitbringsel kaufen muss, bevor er in die S-Bahn steigt? Doch Mr. Bling-Bling ignoriert mich. „What’s wrong?“, will ich irritiert wissen. Er zieht eine Schnute: „You told that man, that we are not together!!“.
Ich starre ihn entgeistert an – und mit einem leisen, melodischen „Pling“ reißt der letzte, dünne Rest meines Geduldsfadens. „WE ARE NOT TOGETHER!!!“. Mr. Bling-Bling schenkt mir einen lateinamerikanischen, zutiefst beleidigten Blick: „Well, I really don’t know what’s your problem!!“.
Da hat er zum ersten Mal heute Recht. Was ist mein Problem? Ich bin eine Frau, 28, single und fabulous und ich darf mir daher verdammt nochmal auch was erlauben. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus.
„Weißt du was: Ich glaub bei dir brennt’s. Aber gewaltig!!“
Damit drehe ich mich zufrieden um, schultere meine Handtasche und stolziere auf meinen Lieblings-Wildleder-Boots stolz davon.