Freitag, 10.4., Tag 31
Ich habe die Büchse der Pandora geöffnet.
Ein blöder Swipe-Ausrutscher, ein Kussmund- statt ein Zwinker-Smiley, und schon bin ich in der Emoticon-Hölle. Wer konnte denn ahnen, dass in McCharming insgeheim ein Herzchen-Kussi-Bussi-Bärli Typ schlummert??
Ich sitze gerade (wie passend) auf einem plüschig weichen Sessel in der Umkleide einer Brautmodenboutique, als mich die nächste zuckersüße Nachricht erreicht: Ein eigentlich netter Gruß – mit zwei Kussmund-Herzchen-Smileys. Why? Oh why??
Mich schüttelt es. Ich zeige Sammy, die gerade gespannt neben mir sitzt, mein Handy. „So what?“, Sammy ist irritiert, „ist doch nur ein Smiley. It’s cute.“.
Ich starre meine Lieblings-Rambo-Freundin schockiert an: „Ich hab den einmal getroffen. Einmal! Und da hat der eigentlich ganz normal auf mich gewirkt!“. Sammy lacht: „Darling, moderne Männer dürfen auch Herzen verschicken.“. Aber auch sie muss zugeben, dass das vielleicht ein bisschen zu viel ist, wenn man sich kaum kennt. Und (meiner Meinung nach) auch, wenn man sich kennt.
Folgende Emoticon-Abgründe sollten nämlich möglichst nur von 13-Jährigen Teenie-Mädels, oder im rein ironischen Sinne gebraucht werden: Der knutschige Kussmund, das pinke Herz mit lustigen Glitzersternchen, das pochende pinke Herz, das pinke Herz mit Amors Pfeil, alle anderen pinken Herzen, der Smiley mit Herzchen in den Augen (wobei, da gibt es eine Ausnahme: Man erfährt, dass die Lieblingsband in die Stadt kommt. Außer die Lieblingsband ist Metallica. Dann ist auch diese Ausnahmeregel außer Acht zu lassen), und – ganz, ganz schlimm – das perfide Bärchen. In allen Formen und Varianten.
In der Umkleidekabine seufzt Gitta schwer: „Das ist auch nix…“.
„Come on!“, Sammy zupft neugierig an dem Vorhang, „so schlimm kann es nicht sein!“.
Sekunden später steht eine brummelige Braut vor uns. In einem „Traum“ aus eierschalenfarbener Seide und üppigem Taft. In mindestens 125 Lagen und Rüschen. „Äh….“, ich hole Luft und suche nach Worten, „also das ist auf jeden Fall…besser als das vorhin.“. Sammy ist weniger diplomatisch: „You look like an exploded Cupcake!“. Gitta ist halb frustriert, halb den Tränen nahe. Interessant, wie auch die tougheste Frau in den Hochzeitsvorbereitungen abwechselnd zum heulenden Elend, und zur hyperventilierenden Furie mutiert. Egal wie oft man am Anfang noch den Satz „Das wird ganz entspannt!“ hört.
„Das ist jetzt das 8. Geschäft und das einhundertmillionste Kleid in drei Tagen!“, Gitta schnauft schwer, den Tränen nah, „Am besten heirate ich in nem Kartoffelsack!“. Ich blicke sie mitfühlend an. Und im vorsichtigen Bemühen, die Situation zu entschärfen, meine ich sanft: „Schmarrn! Jetzt ziehst du erstmal das greislige Ding da aus. Dann schauen wir weiter. Und du wirst sehen…..ha!“.
Mein Handy blinkt und ich halte es triumphierend Sammy vor die Nase: „Zwei Kussmund-Smileys und ein Häschen. Ein Häschen!!“. Sammy guckt zweifelnd auf das Display: „Well…weil er wissen will, ob du Ostern überlebt hast…“. Doch ich schüttle nur angewidert den Kopf. Ich möchte schon wieder los dozieren, als mein Blick auf den explodierten Cupcake vor mir fällt. Den ziemlich düster dreinblickenden explodierten Cupcake. „Oh…sorry Gitti…es ist nur dieser Kerl! Erst macht er einen auf moderner Macho…und dann diese Smileys…“, doch Gitta rollt nur mit den Augen, rafft kiloweise Tüll hoch und verschwindet mit dem nächsten Kleid watschelnd hinter dem Vorhang.
Ich indes bin völlig verwirrt. Denn zwischendrin kommen eigentlich ganz witzige Sprüche von McCharming – mit einem Humorpotential, dass ich ihm gar nicht zugetraut hätte. Und dann aber dieser Kitsch! Den hätt ich ihm noch weniger zugetraut. Männer sind eben ein Mysterium.
Sammy nimmt mir das Handy aus der Hand: „Du sagst ihm jetzt einfach, wie du das findest!“. Sie tippt grinsend:
„Sorry, aber das ist ein bisschen too much!“
Prompt kommt die Antwort:
Ich bin baff. Und mit Sammy passiert etwas Merkwürdiges. Sie beginnt tatsächlich zu kichern. Ich blicke sie kopfschüttelnd an.
Dabei bin ich prinzipiell selbst schuld. Meine Finger-Koordination funktioniert nicht so optimal (wie ja seit der Tinder-Erfahrung landläufig bekannt ist). Eigentlich sollte man mir das Bedienen von Telefonen mit Touchpads verbieten. Deswegen habe ich auch aufgehört, mit Leuten aus der Arbeit über Whatsapp zu kommunizieren. Denn einmal, genau einmal, habe ich mit einem meiner Chefs per digitalem Messenger kommuniziert. Ich war noch in London, das WiFi zu lahm, um mein Mailprogramm zu öffnen und ja…ich war zu geizig für SMS. Die Strafe kam prompt: Er machte einen netten Witz, ich wollte harmlos mit einem Zwinker-Smiley antworten – und erwischte, wie so oft, stattdessen den Kussmund-Smiley direkt daneben….
Auch das schlaue Wikipedia weiß, dass es bei falschen Smileys oft zu nicht intendierten Botschaften kommt. Scheinbar wird das einfache Symbol für Herz <3 bei manchen Messenger-Programmen oder Handy-Providern als zartes, hellrosa Herz dargestellt, bei anderen aber als flammendes, rotes Herz. Man stelle sich also vor, man wollte einer netten Dame nur seine zartrosa Zuneigung kundtun – und die bekommt aber die flammende, rote Liebe geschickt? Katastrophal. Nicht auszudenken!
Pling. Die nächste herzige Nachricht von McCharming. Sammy reißt mir das Handy aus der Hand:
Sammys grüne Augen strahlen belustigt: „Boy…Fee…this guy! Der hat was!“.
Ich lege meine Stirn in Falten. Tatsächlich ist das ganz witzig, was er da schreibt… Vielleicht bin ich doch ein bisschen übertrieben ketzerisch mit der ganzen Emoticon Sache. Aber das liegt nur an den Herzchen-Kussi-Bussi-Bärli-Postern auf Facebook!
Wer kennt sie nicht, die Herzchen-Kussi-Bussi-Bärli Posts. Die kommen von Menschen, die schwer, schwer verliebt sind. Schön und gut. Und (auch wenn ich es nie getan habe): Ein verliebtes Pärchen-Bild, um der Welt seinen momentanen rosaroten Gefühlszustand mitzuteilen – auch gut. Aber das reicht den Herzchen-Kussi-Bussi-Bärli Postern lange nicht aus. Nein. Sie müssen sich ihre Liebe jeden Tag aufs neuen in Herzchen, Kussis, Bussis (das variiert natürlich je nach Bundsland) und Bärlis (am besten animiert) auf ihrer Facebook Pinnwand beweisen. Und am allerbesten ist es natürlich, aussagekräftige Timeline-Events zu setzen, wie: „12.02.2013: Habe Schatzi kennen gelernt.“
Während ich das brummig in bester Miesepeter-Manier zum Besten gebe, breitet sich ein Grinsen auf Sammys Gesicht aus: „Oh my gosh…dann MUSST du dieses Video sehen. Es ist der Schrei!“ (sie meint `der neuste Schrei´, findet die Redewendung so aber lustiger). Ich beuge mich interessiert über ihr Handy – und komme in den Genuss des Grusligsten, was ich je gesehen habe:
Ein Pärchen Ende Zwanzig besingt seinen erstem Jahrestag. Wohlgemerkt: Den ersten Jahrestag! Zu sehen sind beide, wie sie ein kitschiges, scheinbar von ihm komponiertes Lied über ihre magische Begegnung von vor einem Jahr singen. Er klampft dabei herzreißend auf seiner Gitarre herum. Sie inszeniert den Text (und vor allem sich sebst) mit größter Dramatik. Ein endloses Schmachten, sich gegenseitig in die Augen Schauen, dramatisches Küsse zu Werfen…und dann Schnitt. Und zu sehen ist ein buntes Potpourri von Urlaubs-, Dates-, und Alltagsfotos und Videos der beiden. Vorzugsweise natürlich knutschend, oder verliebt in die Kamera lächelnd. Immer den Körper vorteilhaft in Szene gesetzt. Besonders gerne – wie könnte es anders sein – an irgendwelchen Stränden bei irgendwelchen Sonnenuntergängen. Natürlich sind beide unfassbar attraktiv und tatsächlich können sie auch einen Ton halten. Vielleicht (und ich meine vielleicht) wäre das Video sogar mit einem gewissen Brechreiz halbwegs annehmbar, hätte der Kerl es für sie als Überraschung angefertigt. Und nicht auf Facebook veröffentlicht. Und alles ohne die ganz perfide Show.
Beim herzzerreißendem letzten Chorus „Because I love you and you love me, oh it was deeeeeeestinyyyyy“, hält mich und Sammy nichts mehr. Sammy prustet los und ich falle mit einem hyänenartigen Lachen vom Stuhl.
Als ich aufblicke, steht Gitta vor uns. Ich will mich schon eilig rechtfertigen – als ich das Kleid an ihr sehe. Es ist ein aboluter Traum. Simpel, aber nicht schlicht. Klassisch, aber mit raffiniertem Design. Und Gitta sieht fabelhaft darin aus. Auch Sammy (man kann es kaum glauben) schnieft plötzlich: „Oh honey…..“
Gitta grinst: „Hab ich doch gesagt. Das wird ganz entspannt!“
In dem Moment wird mir klar, dass Gittas Hochzeit real ist. Und in weniger als vier Monaten. Meine beste Freundin seit Schultagen wird tatsächlich heiraten. Und ich? Wahrscheinlich bin ich wirklich zu abgebrüht und kritisch. Pfff.
Ich tippe aufgeregt eine Nachricht an McCharming:
„Sorry. Ich bin gegen diese digital-virale Infektion geimpft. Aber ich weiß nicht, ob ich immun gegen eine Face-to-face Ansteckung bin. Willst du es herausfinden? Die Zuckersüße 😉 “
Meine Ohren glühen und nach einiger Überwindung füge ich noch ein pinkes <3 Herz hinzu.
Pling. Wieder kommt die Antwort prompt. Ich lese aufgeregt:
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