Sonntag, 5.7., Tag 117
Ich bin mir ehrlich gesagt ziemlich sicher, dass wir alle Opfer des sogenannten Schnaps- Exponential-Phänomens waren: Mit der steigenden Menge Schnaps im Körper, steigt exponentiell nicht nur die Stimmung, sondern auch die Attraktivität der Mitmenschen.
„Holla!“, raunt mir Susan zu, als drei der stark angetrunkenen und irgendwie zugleich unglaublich gutaussehenden OP-Ärzte an uns vorbei zur Bar wanken, „Wo kommen denn die Models auf einmal her??“
„Ich habe absolut keine Ahnung….“, ich grinse.
Und plötzlich scheint alle Selbstkontrolle, aller weiblicher Stolz vergessen zu sein und ich trete auf die Gruppe zu: „Hey…..ihr seid ganz schön heiß – kommt ihr direkt aus dem OP, oder aus der Hölle?“.
Oh mein Gott. Was mach ich da, peinlicher geht’s ja wohl kaum!!! Einer der Jungs im OP-Kostüm strahlt mich breit an: „Hey girls!!!“. Puh – er kann kein Deutsch.
Es stellt sich raus, die zwei dutzend Männer sind ein großer Junggesellenabschied aus Irland – und der Bräutigam ist Chirurg (was die Kostümierung erklärt).
Die finden das natürlich genauso toll wie wir, dass sie auf uns treffen. Ich wanze mich flirtiv an den großen, breitschultrigen Typen mit den lustigen Augen ran, der mir eben geantwortet hat. Der findet unsre Trinkpokale super und schenkt mir fleißig nach. Dabei erzählt er mir, dass sie alle den Bräutigam noch aus Schultagen kennen.
„Really? Wow.“. Ich setze mein charmantestes Lächeln auf, zwirble eine braune Haarsträhne um meinen Finger. Der Ire lächelt mich nett an. Easy as that!
Ich lächle bezaubernd zurück und bringe meine Begeisterung darüber zum Ausdruck, dass die Männer über all die Jahre befreundet blieben – und jetzt alle gemeinsam auf eine Bachelor-Party nach Prag fahren!
„Ah well, it is not that much a bachelor party – as almost all of us are already married or engaged. George kind of is the last to tie the knot.“, der Ire zwinkert mit nett zu. Ich meisle mir weiter mein Lächeln ins Gesicht: „Ach….really..?“.
Sauber. Das is ja mal wieder super gelaufen.
Ich lehne gerade brummlig an der Bar – zurück vom Flirty-flirty-Planeten und wieder in der grausamen Endzwanzger-Single-Realität – als mich jemand von hinten antippt.
„I`m not married or engaged.“, der Kleinste aus der Gruppe (was ihn immer noch einen halben Kopf größer als mich macht), grinst mich an.
„Hi, I’m Harry.“, er streckt mir schon fast förmlich die Hand hin.
„Oh…“, ich starre ihn neugierig und schnapstrunken an. Dann rücke ich ein Stück näher und flüstere ihm verschwörerisch ins Ohr: „Potter?“.
Harry ist kurz irritiert, lacht dann aber los.
„Nice one! A drink?“. Ich brauche definitiv keinen Drink mehr und lasse mir von Harry eine Cola ausgeben. Wir smalltalken gerade ein wenig darüber, wie perfekt Prag für einen Junggesellenabschied ist und was wir so mit unsrer Zeit machen, wenn wir nicht gerade hier und auf einem JGA sind (Harry ist Computerspiele-Entwickler – nicht unspannend). Da sehe ich aus den Augenwinkeln schon Sammy aufgeregt und mit glänzenden Augen heraneilen. Typisch, wie die Gaffer bei nem Autounfall: Hurra! Sie hat einen Mann an der Angel – schnell mal nachsehen, wie der so ist…
„Heeeeyyyy…..“, Sammy grinst und blickt abwartend zwischen dem Iren und mir hin und her.
Ich seufze: „Sammy, das ist Harry. Harry – Sammy.“
Sammy staunt: „Oh…the Prince?! Sweet!“
Im Gegensatz zum Harry Potter Kommentar scheint Harry DAS als eine Beleidigung zu empfinden. Wobei man zumindest was das Haupthaar betrifft durchaus einen Vergleich ziehen könnte. Wenn jemand irisch aussieht, dann Harry, der Ire. Natürlich hat er rötliche Haare. Und leichte Segelohren. Er ist ein wandelndes Klischee. Aber: Auch einen gepflegten Rot-Bart (yeah) und ein sehr freundliches, breites Lächeln.
Sammy steht immer noch da und grinst uns leicht grenzdebil an.
„Äh…Sammy…..“
„Ja?“
Ich rolle genervt die Augen und endlich verzieht sie sich wieder zu den anderen, die gerade mit ein paar der irischen OP-Ärzte Maccarena auf Dr. Alban tanzen. Ich sehe ich nur noch, wie die durstige Gitta blind hinter sich an den Tisch greift und schließlich aus der Blumenvase trinkt.
Das alles ist mir relativ wurscht. Nach weiteren 15 Minuten nett-flirtiven Ratschens werde ich etwas ungeduldig. Jetzt könnte er mich aber echt auch mal küssen! Gitta findet das scheinbar auch. Sie taucht plötzlich wie aus dem Nichts mit OP-Mützchen auf dem Kopf auf und plärrt: „Kiss her, kiss her, kiss her!“. Also küsst er mich halt. Und das wirklich nicht schlecht! Es ist in der Tat die perfekte Mischung zwischen einem sanften Kennenlernen und dem Geschmack nach mehr.
Wir knutschen und vergessen alles um uns rum. Hinter uns grölt irgendwer „Zoooombiieee…zooooombieee…“ – und plötzlich, gefühlte fünf Minuten später, tippt mich jemand an.
„Äh…sorry to interrupt…aber wir gehen. Die Braut ist grad ein bisschen müde.“, Sammy zuckt entschuldigend mit den Schultern. Ich schaue mich um – der Laden ist inzwischen leer. Auch die ganze OP-Arzt-Iren-Bande ist weg. Der DJ räumt schon zam – und das vorsichtig um Gitta herum. Die ist mit dem OP-Mützchen schief auf dem Kopf und mit offenem Mund an das DJ-Pult gelehnt eingeschlafen. Unglaublich!
Trotzdem wollen wir den Abend nicht damit beenden, aus einer Bar geschmissen zu werden. Deswegen ziehen wir (das sind inzwischen nur noch Gitta, Sammy, Susan und ich) weiter zur nächsten, noch offenen Lokalität. Das ist um 5 Uhr Morgens hier in diesem Ende von Prag eine kleine Boazn um die Ecke. Harry, der Ire, wird natürlich von den begeisterten Mädels mitgeschleppt – schließlich sind wir schuld, dass er seine Herde verloren hat.
Sammy, Susan und Gitta sind Feuer und Flamme von dem Hahn im Korb. Kaum haben wir uns gesetzt, beginnt die Inquisition frei nach dem Motto „Ein passender Mann für Feli?“:
„So…do you play an instrument?“
Harry lacht und scherzt: Er hat mal im Schulorchester getrommelt, als er zwölf war. „Does that count?“
Sammy jauchzt begeistert auf: „Oh mein Gott Feli…der ist end musikalisch!!!“
Ach ja?
Als nächstes wollen die Mädels wissen, ob Harry denn andere Sprachen spricht (da ich gerne und viel reise und in der Tat vier Sprachen zumindest im Groben spreche – Bayerisch mal nicht mitgezählt.)
„Well, I learned a little bit of German at School. But really: The only thing I remember is „Dankeschön“ and „Guten Tag“.“
Neben mir quietscht nun Susan enthusiastisch los: „Feli!! Er kann Deutsch! Ein echtes Sprachentalent…Das ist ein Zeichen!!!“
Die Sonne geht langsam auf, wir sind seit über 24 Stunden wach, ich habe mindestens mein Alkoholpensum eines halben Jahres an einem Tag verbraucht….langsam glaube ich wirklich alles, was man mir sagt: Harry ist ein irre cooler Ire, ist total musikalisch und hat seine eigene Percussion-Band, er spricht vier Sprachen fließend – davon Deutsch am besten und außerdem sieht er aus wie Prinz Harry und hat die Zauberkräfte von Harry Potter.
Irgendwann beendet dann aber Gitta – die inzwischen nach einem kurzen Hoch wieder auf dem Tisch eingeschlafen ist – doch noch diesen magischen Abend. Sie schreckt plötzlich blitzschnell hoch und verkündet:
„Jetzt glangt’s dann aber auch mal. Irgendwann is Schluss mit lustig!“
Damit kippt sie wieder vornüber auf die Tischplatte und schlummert weiter. Wir prusten los, treten den Heimweg an und ich verabschiede mich von Harry – standesgemäß mit einem weiteren, langen Kuss. Schließlich ist er Harry Potters Schwager und zugleich der ältere und totgeschwiegene Bruder von Prinz Harry und Prinz William!
„Well – I would really like to see you again, Bavarian Girl.“, er lächelt mich an und kann sich nur durch den Zettel mit meiner Handynummer von mir lösen. Ich grinse.
Am nächsten Tag sieht die Welt dann ganz anders aus. Ich kriege meine Augen gerade mal zu winzigen Schlitzen auf, irgendwer hat sich über Nacht einen Spaß erlaubt und meinen Kopf auf das Kissen zementiert. Ich stöhne und drehe ganz vorsichtig meinen Kopf Richtung Tür, wo gerade eine erschreckende gruslige Gestalt den Flur entlang geschlurft kommt.
„Booooooaaaaaah….ich brauche 8 Aspirin aufgelöst in Espresso….und dann am besten intravenös!“, Susan zieht die Badezimmertür hinter sich zu.
Ich grusche nach meinem Handy auf dem Nachttisch….und sehe: Nicht weniger als drei neue Nachrichten – von Harry, dem Iren:
Hmmmm…ganz süß. Ich lächle. Dann öffne ich die zweite Nachricht – von zehn Minuten später:
Der scheint das ja wirklich ernst gemeint haben gestern, mit dem er will mich wieder sehen. Ich scrolle runter. Nächste Nachricht, diesmal eine Stunde später.
Äh…ok. Wow. Drei Fragen in einer Nachricht, das muss man auch erst mal schaffen. Ich bin zu fertig, um mich jetzt ernsthaft mit diesen doch eher ausschweifenden Mitteilungsbedürfnis zu befassen – und antworte erst mal nett, aber knapp zurück.
Tja. Und dann geht das so den ganzen Tag über weiter.
Als wir uns um zwölf zu einem Katerfrühstück aufraffen:
„Where just here and doing this and that. Do you have siblings? Where did you grow up?“
Als wir gerade mit dröhnenden Schädeln feststellen, dass es nicht die beste Idee war, für heute noch eine Stadtführung zu buchen:
„Are you on your way to the bus already? We are having so much fun. Oh…I never asked you what’s your favourite meal?“
Als wir uns auf den letzten Drücker mit Sack und Pack auf unsren Bus Richtung Heimat aufspringen, jeder eine fette McDonalds Tüte in der Hand (diesmal wir der Hass auf uns im Bus unendlich sein….)
„It is just really nice, to have a weekend away. We are just hanging out at a nice Café. Do you work a lot? Do you get a lot of public holidays in Germany? Where do you like to go on your holidays?“
Natürlich schreibe ich immer mal wieder zurück, wir haben uns ja ganz gut unterhalten (insofern ich das jetzt in der Retrospektive noch richtig beurteilen kann) . Aber auf jede Antwort kommt prompt innerhalb von Sekunden eine Gegenantwort – mit drei neuen Fragen. Es sind sicher an die 15 Nachrichten, die mir Harry, der irre Ire, da heute schickt. Die Mädels finden das erst süß:
„Hey, der will dich halt wirklich kennenlernen und den Kontakt halten – ist doch toll.“
Dann aber wird es ihnen auch etwas zu weird – und als Harry, der irre Ire plötzlich schreibt:
können sie sich vor Lachen nicht mehr halten:
„Feli…pass auf, der steht spätestens übermorgen mit einer Rose im Mund vor deiner Tür!“
„Ey Feli….was denkst du mag Harry lieber? Schweinelende oder Lachs? Wegen der Menüfolge auf der Hochzeit, du weist schon..“
„Maaaaaaan…ich freu mich schon: In einem Jahr fahren wir alle wieder auf nen Junggesellinenabschied nach Prag. Und auf der Hochzeit von dir und Harry halte ich dann die Rede und rekapituliere euer romantisches Kennnenlernen…“
„Bis auf die Geschichte mit dem Schirmständer vielleicht…“
Alle grölen los…nur Gitta blickt irritiert von einer zu anderen: „Welche Geschichte mit dem Schirmständer? Worum geht’s? Welcher Schirmständer??!!“
Während sich die anderen noch weigern, Gitta in alle Vorkommnise der letzten Nacht einzuweihen, fiept mein Handy erneut auf: Nachricht von Harry.
Na super.
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