Aufsibraud! – Part I

Dienstag, 30.6., Tag 112

Ich starre auf das Foto auf meinem Handy-Display. Unentschlossen, was ich dabei jetzt empfinden soll.

Facebook zeigt einem seit Neuestem „Memories“ aus dem Leben der Nutzer…aha. Unter dem Titel „On this day…“ wird einem angezeigt, was man am heutigen Tag vor 1,2,3, oder X Jahren gemacht hat. Hätte man beispielsweise am selben Tag vor drei Jahren ein Status-Update über seine aktuelle, akkute Durchfallerkrankung gemacht – Facebook reibt einem das nun als Life-Event wieder unter die Nase.

Ich starre halb beunruhigt, halb fasziniert auf meine „Memories“. Heute vor einem Jahr: Ein Foto von mir, strahlend mit gigantischen Strohhut aus dem Indonesien-Urlaub – damals noch im Pärchen-Modus. Heute vor zwei Jahren: Eine Statusmitteilung, in der ich in bunten Farben die Verbechen ausmale, die ich zu tun gedenke, sollte ich noch einmal „Blurred Lines“ im Radio hören… (so viel zum Thema „Life Events“). Und dann: Heute vor vier Jahren: Ein Foto von mir und Gitta, sternhagelvoll, aber offensichtlich super happy, mit unseren peinlichen, selbstbedruckten „M.A. is for Magister Artium – bitch“-Shirts, wie wir gerade mit überkreuzten Armen auf Bruderschaft trinken – mit der Bildunterschrift. „Geilste Zeit überhaupt…“.

Ich weiß nicht, was mich mehr fasziniert: Dass ich schon so lange auf dem bösen Facebook unterwegs bin, dass eben dieses böse Facebook (dank meines Zutuns natürlich) irgendwie über mein halbes Leben Bescheid weiß – oder aber, wie schnell die Zeit vergeht…

Inzwischen sind gute, schlechte und hervorragende Dinge passiert. Zu letzteren gehört, dass Gitta in weniger als 50 Tagen heiraten wird. Und um das gebührend zu feiern, ist es höchste Zeit für den Junggesellinenabschied. Die Mission: 11 Mädels, die sich teilweise gar nicht kennen. Eine Braut. Zwei Tage Spaß.

Nachdem es Gitta vor Neugierde kaum noch aushält („Sei doch ned so …) und sie ohnehin schon lange ahnt, dass dies das besagte Wochenende werden wird, wollen wir sie zumindest mit der Uhrzeit überrumpeln. Und klingeln daher Punkt 5 Uhr früh an ihrer Tür. Die Braut bekommt großzügiger Weise ganze 45 Minuten um sich fertig zu machen.

Viel zu viel, wie sich rausstellt, denn während wir alle übermüdet und mit wirren Haar um 6.30 Uhr am Bus stehen, ist Gitta wie immer top gestyled – und kann es kaum erwarten.

„Wo geht’s denn jetzt hin? Und wie lang bleiben wir? Ihr macht mich fertig…Ski-Klamotten, Bikini, Taucherflossen. So kann man das ja nicht erraten…“, aufgeregt wie ein Schulmädchen schraubt Gitta hibbelig am Deckel von Schnapsrunde Nummer 1 des Tages.

Was sie nämlich noch nicht weiß: Wir fahren auf ein tolles Mädelswochenende nach Prag. Ganz kultiviert, versteht sich. Wir hatten keine Lust mit einem Bauchladen durch München zu ziehen, doofe Schleier oder Kostüme anzuziehen. Damit das Ganze aber doch irgendwie einen verbindlichen Eventcharakter bekommt (und vor allem damit wir in einer Gruppe von 12 Mädels nicht ständig jemanden verlieren) haben wir alle schlichte, schwarze T-Shirts an. Die zu kleinen Trinkpokalen umfunktionierten Edelstahl-Eierbecher, die an bunten Bandln von unsrem Hals baumeln, sind auch kein kitschiges Requisit, sondern erfüllen schlicht und einfach einen Zweck. Ganz kultiviert – eh klar!

„OK bride….Zeit für die erste Aufgabe!“, Sammy grinst und zückt den beachtlichen Stapel mit Aufgaben, die Gitta zu bewältigen hat. Als Erstes darf sie gleich Mal alle im Bus auf die Anschnallpflicht hinweisen. Eine wichtige Aufgabe!

„Äh….tschuldigung…Ich möchte Ihnen nur sagen, dass Sie sich laut Gesetz anschnallen müssen.“

„Ha?“, der bayerische Opa (was auch immer der in Prag will) starrt Gitta an, wie eine Kuh wenn’s blitzt.

„Also die Gurtpflicht…“

„Ah geh weiter…“, der Opa brummelt mürrisch.

Also geht Gitta eilig weiter, während wir wie die Teenager losprusten.

„Entschuldigung. Sie sollten sich anschnallen. Das ist sonst wirklich totaaaal gefährlich. Außerdem herrscht in Deutschland Gurtpflicht.“, Gitta legt sich wirklich ins Zeug. Die Dame scheint verständnisvoll, zumindest lächelt sie Gitta freundlich an. Dann streckt sie ihr eine Tupperdose mit irgendwelchem klebrigen Gebäck hin und bedeutet ihr, sich zu bedienen.

Gitta kehrt lachend und mit Zuckergebäck zurück und wird von uns johlend empfangen. Ganz ehrlich…ich möchte nicht mit uns im Bus sitzen!

„Ha! Die Männer sind noch nicht mal gestartet!“, Susan, ihres Zeichens Freundin des besten Freundes des Bräutigams und somit auch seit längerem mit Gitta verbandelt, hebt grinsend ihr Handy in die Höhe.

Man muss an dieser Stelle erwähnen: Natürlich bin ich auf dem Junggesellinnenabschied die einzig wirkliche Junggesellin. Alle anderen Mädels sind in langjährigen, festen Beziehungen, zwei Drittel davon mit Männern, die parallel zu uns auf dem Junggesellenabschied des Bräutigams sind.

Gerade geht ein heftiges Gesimse zwischen den beiden Feierparteien los…es geht darum, ob die Frauen den Männern eine Aufgabe stellen sollten und umgekehrt. Gekicher. Ich seufze und schnappe mir kurzentschlossen den Bacardi aus einer unserer Provianttüten: „Schnapsrunde!!!“ .

Sofort sind alle dabei: „Auf die Braut!“. Anstoßen und obi damit.

Das klappt ja recht gut! Ich mache es mir selbst zur Aufgabe, jedes Mal eine Schnapsrunde anzuleiern, wenn eine der Mädels das eigentlich auferlegte Kontaktverbot mit den Jungs vergisst. Die sind allerdings gerne belehrbar – und nach zwei Stunden gibt es daher auch aus anderen Gründen immer Schnapsrunden. Wenn der Busfahrer eine Durchsage macht…

„Auf die Braut!“

Wenn jemand gerade eine sentimentale Ansprache bezüglich der Freundschaft zur Braut gemacht hat…

„Auf die Braut!“

Wenn gerade Klopause war, und alle wieder Flüssigkeiten zu sich nehmen können…

„Auf die Braut!“

Wenn ein roter LKW vorbeifährt…

„Aufsibraut!“

Wenn ein LKW vorbeifährt…

„Auuuuffsibraudd!“

Wenn irgendwas vorbeifährt…

„Aaaauuubaaa – hicks!“

Als wir nach knapp 4 Stunden Busfahrt und einer Stunde orientierungslosem, aber fröhlichen Herumirrens endlich in unseren Appartements ankommen, müssen wir uns erstmal von den anstrengenden Strapazen der Reise erholen.

Zwei Stunden, ein Power-Napping und eine spontane Runde „Wo steckt eigentlich die Braut??“ später haben wir uns in dem bereits im Vorfeld reservierten Keller-Restaurant eingefunden (Perfekte Organisation. Wenn man bedenkt, dass die Männer sich parallel dazu einfach im Augustiner getroffen haben – „Schau ma mal, was der Tag nach drei Mass so bringt….“).

Da ich, wie bereits erwähnt, der einzige Single in der Runde bin (und somit auch die Einzige, die wirklich über die Stränge schlagen kann), haben es sich die Mädels zur Aufgabe gemacht, mich an diesem Wochenende an den Mann zu bringen.

Wir haben gerade jeder einen Krug gutes, tschechisches Bier vor uns stehen, als Gitta eine ihrer Aufgabenkärtchen zieht: „Stelle dem Kellner jeden aus der Gruppe mit einem besonderen Nicknamen vor.“. Gitta grinst und ist tatsächlich durchaus kreativ. Unser Kellner weiß nicht so recht, wie ihm geschieht. Vor allem als Gitta bei mir angekommen ist: „Und das ist Feli aka Singlelady – aka dieser-Kellner-ist-der-Mann-meiner-Träume…“, zwinker, zwinker. Allgemeines Gekicher am Tisch.

„Ach so…na wenn das so ist: Einen Walzer, schöne Dame?“, meint der Kellner grinsend, mit fast akzentfreiem Deutsch.

„Ähhhhh…“, ich schwitze. Eigentlich war der Plan, dass die Braut sich zum Affen macht!

Zehn Minuten später wirble ich mit Pavel, ab jetzt mein persönlicher Kellner des Abends, zu einem schnellen Walzer durchs Lokal. Peinlich. Die Mädels kriegen sich nicht mehr ein. Als wir das Restaurant verlassen, habe ich nicht nur Pavels Telefonnummer, sondern, wie alle andren auch,  drei weitere Gratis-Schnäpse im Gsicht.

Gitta ist inzwischen auf ihrem Schnaps-Peak angekommen. Sie zeigt gerade eine erstaunlich gute Imitation von mir und Pavel auf dem Parkett – und hat als Tanzpartner einen Laternenpfahl gewählt.

„Huuuuuiiiiiiiiiiiiiiii!“

Sammy klatscht begeistert Beifall: „Aufsibraut!!“ – alle zücken brav die Trinkpokale (die Dinger sind wirklich praktisch!) und es folgt Schnapsrunde Nummer….ach, wer zählt schon mit. Langsam beginne auch ich so etwas wie Alkohol zu bemerken. Ich beobachte wehmütig die hübschen zwei Gittas, und denke daran, dass das fast so ist, wie bei unsrem Uni-Abschuss… äh…Abschluss.

Auch bei Gitta folgt zwangsläufig, wie immer, auf den Schnaps-Peak ein kurzer, melancholischer Einbruch. Zum Glück bin ich für den moralischen Support da. Wir fallen ein wenig hinter den anderen zurück, die gerade begeistert das Prager „Sex Machine“- Museum entdeckt haben.

Gitta ist völlig aufgelöst: „Ich mach mir sooooo Sorgn…!!“

Ich nicke verständnisvoll, wobei sich dummerweise die blöde Straße noch mehr dreht. Das ist mein Einsatz: Zeit, für ein echtes Freundinnen-Gespräch.

Ich blicke Gitta ernst und kaum lallend an: „Das wird bestimmt nich so schlimm, verheiratet zum sein. Du musst nich immer zuhause auf der Couch sitzn und hey…wer sagt, dass ihr kein Sex mehr ham müsst???“

„Hä?“, Gitta schielt auf meine Nase, „Neeee… ich mach mir voll die Sorgn um den Bloki. Der…der ist bestimmt tot!!!“.

Bloki (fragt mich bitte nicht, woher dieser Name kam) ist Gittas große Liebe und der Bräutigam. Er ist toll und hochintelligent – anders, als der Spitzname vermuten lässt.

Gitta wischt sich den Rotz mit dem Ärmel weg: „Du weiß doch, wie Kerle drauf sin! Das sin solche Deppn! Bestimmt liegn die jetzt irgenwo besoffen und bewusstlos an ner Autobahnausfahrt…“.

Es hilft nicht wirklich viel, dass zu diesem Zeitpunkt einer der Männer das Kontaktverbot vergisst, und ein total verwackeltes Handybild schickt:

2015-06-30_21.42.11

Gitta fängt sofort hysterisches Schluchzen an: „Ich schwöars dir Feli, der Bloki is tot und liegt irgenwo…ich spür das!!“ , zu Verdeutlichung hebt Gitta schwankend ihre Hand an ihren Busen (sie wollte wohl ihr Herz treffen).

„Ach Schmarrn!“, versuche ich lallend zu trösten und tätschle ebenso ihre Brust (ich wollte ihre Hand treffen), „Dem geht’s gut. Sowas Schlimmes is bestimmt nich passiert!“

Gitta schnieft: „Vielleicht aber noch was Schlimmeres! Ich wette, der hat jetzt‘n Tatu quer übers Gesicht…wie dieser Boxer….Stell dir vor! Auf der Hochzeit…wie schautn des aus, auf den Fotos!“. Gittas Verzweiflung äußert sich in einem hektischen Schluckauf.

„What the…was ist das hier??“, Sammy kommt plötzlich zu uns gewankt.

„Gitta geht’s nich so gut.“, meine ich ernst. Doch Sammy scannt kurz die Lage, verabreicht Gitta dann pragmatisch einen weiteren Schnaps und einen dicken Schokoriegel – und huuuuiiiiiii – weiter geht’s.

„Wir haben eine Bar gefunden – it’s perfect!“, Sammy zieht uns begeistert um die Ecke. Ich staune.

„Hey…kommt mir hier irgndwie bekannt vor.“

Susan, die vor der Tür auf uns wartet lacht los: „Hier sind unsre Appartements, das ist die Hotel-Bar!“.

„Kraaaaasss!“, Gitta ist baff.

„Und es ist 90er Party!“

„Totaaaaaal krass!!“, Gitta und ich starren uns an.

Und ja: Es war perfekt! Eine Bar direkt im Haus. 90er Party…besser hätten wir das nicht planen können. Und dann…

Wir sind keine zehn Minuten in der Location, haben grade an der Bar mit irgendwelchen bunten Cocktails aufgetankt, als etwas wahrlich Magisches passiert. Ich setze gerade an, mit Gitta zu „It’s raining men“ loszutanzen, als Sammy baff auf mich zugerannt kommt.

„Oh my god….siehst du das??“

Sie deutet aufgeregt Richtung Eingang – und ich traue meinen Augen kaum. Eine große Gruppe unfassbar gut aussehender Männer in etwas lädierten OP-Kostümen betritt laut grölend den Raum. Sammy starrt erst baff die Männer, dann mich an:

„Ohmygod!!!“

So viel Testosteron auf einen Haufen… Ich nehme erst mal einen Schluck aus meinem Glas: Aufsibraud!

To be continued…

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