Hilfe, Selbsthilfe!

180 Tage nach den 150 Tagen – und ich halte ein Buch mit dem Titel „Scheißkerle“ in den Händen.

Keine Angst. Ich bin nicht in eine tiefe, emotionale Krise abgerutscht. Auch habe ich kein Wutseminar besucht, um das Dating-Trauma zu überwinden. Hier geht es um knallharte, total seriöse Recherche!

Denn wenn man all den schlauen Beziehungsratgebern, Hobbypsychologen und Dating-Experten glaubt, ist es eine verdammt beschissene Zeit, um Single zu sein: „Generation beziehungsunfähig“ , die Zeit der „Mingles“, statt ernsthaften Beziehungen, „Ghosting“ als anerkanntes Abservierprinzip, Männer, die Bücher darüber schreiben, wie man Frauen am besten ins Bett bekommt…

Hilfe!!! Soll man etwa am besten gleich kapitulieren?!

Das Geschäft mit den Singles boomt, und wenn man sich die ganzen Beziehungsratgeber, Kabaret-Shows und Psychologen-Interviews mal zu Gemüte führt, kommt man sich schon recht schnell vor, wie eine Dating-Laborratte.

Das kann ich mit gutem Recht behaupten, denn ich stehe, wie bereits erwähnt, im Hugendubel vor dem Regal des Grauens, dem seelischen Abgrund eines jeden Singles: Dem Regal für Beziehungsratgeber in der Abteilung für Selbsthilfe-Bücher. Hier möchte man nicht gesehen werden. Es ist wie vor dem Kondomregal im DM. Dem Ständer mit Anti-Pilzmitteln in der Apotheke. Vor dem Seminarraum der Anonymen Alkoholiker im VHS-Hauptgebäude. Oder im Beate Uhse – ganz allgemein. Denn hier offenbart man sich, hier zieht man in der Öffentlichkeit blank und bekennt: Ja, ich habe Probleme und brauche Hilfe. Gut, in zwei der eben genannten Beispielen bekennt man sich eher zu einem aktiven Sexleben. Was auch unangenehm sein kann, wenn man von den falschen Leuten überrascht wird („Herr XY! Ja, ich komme morgen zum Meeting. Haben Sie schon mal die mit den Noppen probiert?“).

Diese Ratgeber-Bücher können bisweilen allerdings auch sehr humorvoll und aufbauend sein und als Single muss man sich heutzutage ja auch irgendwie fortbilden. Wie ich es ja bereits selbst erlebt habe, scheint Dating in den 2010er Jahren irgendwie viel komplexer zu laufen, als noch vor zwei Jahrzehnten. Wenn man überleben möchte, muss man wohl ein paar der Dating-Grundregeln beherrschen. Ha!

Das Blöde allerdings ist: Jeder Ratgeber rät etwas anderes! Na toll.

Hier heißt es zum Beispiel, man soll dem Mann schmeicheln und sich gerne (auch mit Komplimenten) nach dem Date bei ihm melden – Männer wollen erobert werden. Wenn man sich aber einen anderen Ratgeber zu Gemüte führt, erfährt man, dass Männer Freiraum brauchen. Sie finden Frauen unattraktiv, die sich zu sehr anbiedern. Am besten macht Frau sich nach einem Date also erstmal rar.

So. Da haben wir den Salat. Was mache ich jetzt? Wähle ich den Zwischenweg und melde mich nach fünf bis sieben Tagen? Und vor allem: Wie soll denn das Prinzip funktionieren, wenn Ghosting (= das Abservieren durch simple Abwesenheit, einem plötzlichen Stopp im Nachrichtenflow. Quasi frei nach dem Motto: Irgendwann wird sie es schon checken) inzwischen als allgemeine Dating-Regel fungiert? Dann meldet sich einfach gar keiner der beiden mehr und man kommt nie über das First Date hinaus? Man lebt also ein nicht enden wollendes Single-Leben mit lauter First Dates??!!

Ich muss nun doch schmunzeln, das macht mehr Spaß, als ich dachte – wenn man die Sache nicht zu ernst nimmt. Ich greife fasziniert zum nächsten Schmöker. Hier wieder die These, dass Männer sich prinzipiell nicht mehr binden wollen und daher vorzugsweise sogenannte Mingle-Beziehungen eingehen. Ich stutze. Lese nochmal. Nein, da steht eindeutig Mingle. Eine Seite weiter finde ich eine Erklärung: Mingle ist eine Wortneuschöpfung aus den Begriffen „Single“ und „mixed“. Hä? Ich halte eine Verkäuferin auf. Das muss mir jetzt mal jemand genauer erklären, bevor ich in die nächtste Dating-Falle tappe.

„Entschuldigung, kennen Sie zufällig dieses Buch?“

„Ähm … (kurze, peinliche Pause) … ja, habe ich auch daheim.“

„Ah, super. Ich bin Neuling auf dem Gebiet. Quasi erstes Semester Dating.“ Ich lache über meine eigene Spritzigkeit, die Verkäuferin lächelt gequält. „Können Sie mir den Begriff ‚Mingle‘ genauer erklären?“

„Ja klar. Also das heißt, man ist in einer Art Partnerschaft ohne eine Beziehung zu führen …“

„Wie? In einer Partnerschaft ist man doch in einer Beziehung …“

„Nein, eben nicht.”

„Also eine Sex-Affäre?”

„Nein. Das ist schon viel mehr, als eine Sex-Affäre.“

„Also eine Beziehung.“

Die Verkäuferin legt die Stirn in Falten, kann nur schwer mit meiner „Ignoranz“ umgehen.

„Keine Beziehung! Man trifft sich in unregelmäßigen bis regelmäßigen Abständen, wie man will und ohne Verbindlichkeit. Man hat Sex, aber man bleibt auch mal über Nacht, oder verbringt den Morgen zusammen. Nicht wie bei einer Sex-Affäre. Man kann theoretisch auch mal einen Ausflug zusammen machen, oder sich gegenseitig beistehen …”

„Also das hört sich für mich wie eine Beziehung an.”

„Nein, verstehen sie – das ist heutzutage komplexer. Der Hauptunterschied ist der, dass sich beide Partner, oder auch nur einer, nicht binden möchte. Das heißt man hat keine Verpflichtungen gegenüber dem anderen. Man ist nicht wirklich Single, aber auch nicht wirklich in einer Beziehung. Mingle eben.”

„Jetzt hab ich’s kapiert!“

„Schön, freut mich, wenn ich weiterhelfen konnte.“

„Mingle ist so ein scheiß neumodischer Begriff, der den Männer eine Ausrede gibt, warum sie in ihrer Beziehung mit anderen schlafen dürfen!“

Der Verkäuferin starrt mich nur an, tut dann so, als wäre sie von ihrer Kollegin gerufen worden und eilt davon.

Ich kann nur den Kopf schütteln. So ein Schmarrn! Die ganzen Regeln, die Über-Analyse und Verkomplizierung – kein Wunder, dass so viele Singles am Rad drehen. Wenigstens hat mich der Wahnsinn noch nicht ergriffen!

„Ähm, das kann ich nicht beurteilen, aber sie machen einen normalen Eindruck!“ Plötzlich ist wie aus dem Nichts ein Typ um die Vierzig neben mir aufgetaucht.

Achduheiligemariemuttergottes! Ich führe laut Selbstgespräche! Jetzt ist es soweit.

„Suchen Sie auch?“ Der Mann blickt mich höflich lächelnd an.

„Äh … wie?“

Diese Frage war eindeutig mehrdeutig!

„Ein Buch. Haben Sie da vielleicht einen Tipp für mich?“

Ich starre erst den seriösen Mittvierziger, dann das riesige Regal mit den Single-Selbsthilfebüchern vor uns an. Und plötzlich befinde ich mich wieder vor dem Kondomregal. Die Schamesröte steigt mir ins Gesicht.

„Äh … nein, ich recherchiere nur.“

Der Mann lächelt erneut höflich. „Tun wir das nicht alle?“

„Nein, nein! Ich schreibe ein Buch. Über Dating!“  Ok. Das klingt wirklich sehr weit hergeholt. Wüsste ich es nicht besser, würde ich mir auch nicht glauben.

„Ah … verstehe. Und sind ihre Feldversuche schon abgeschlossen, oder sind sie noch auf … Erkundungstour?“ Er sieht mich eindringlich an.

Oh mein Gott. Der Typ will mich tatsächlich aufreißen. In der Abteilung für Selbsthilfe-Bücher im Buchladen. Vor dem Regal mit den Beziehungsratgebern für Singles. Das ist doch … interessant! Und eigentlich wirklich clever. Denn wo sonst findet man willige Singles, wenn nicht hier.

Letztendlich gehe ich dann aber doch ohne Date (und ohne Buch) heim. Manche Dinge sind dann in der Realität doch irgendwie zu weird. Zu weird sogar, um es in ein Selbsthilfe-Buch zu schaffen.

 

 

 

2 Kommentare

  1. Sehr gut geschrieben,
    Ich finde eine Mingle Beziehung sollte man sich sehr gut überlegen meist gibt es einen in der Beziehung der unglücklich damit ist . Was spricht dagegen wenn mann eh alles mit einander macht eine Beziehung einzugehen.

    1. Wie meistens im Leben gilt eben auch hier: Wenn zwei Menschen zusammen kommen sind zwangsläufige irgendwelche Gefühle im Spiel – egal welche. Und wo Gefühle, da auch die Möglichkeit zur Verletzung. Hoffen wir nur, dass es nicht bald auch eine „Mehe“ gibt … 😉

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